Braunbären in den Alpen: König im Schatten des Wolfes
- Hans ARC
- 10. Sept.
- 3 Min. Lesezeit

Wenn in den Alpen von großen Beutegreifern die Rede ist, dreht sich die öffentliche Diskussion fast ausschließlich um den Wolf. Er sorgt für Schlagzeilen, Zorn und hitzige Debatten. Dabei lebt mit dem Braunbären ein anderes Wildtier in unseren Bergen, das zwar größer und mächtiger wirkt – aber objektiv deutlich weniger Konflikte verursacht. Und doch: In seltenen Momenten entfaltet er eine Wucht, die ganze Täler verändert.

Ein alter Bewohner
kehrt zurück
Der Braunbär war einst im gesamten Alpenbogen in Europa weit verbreitet, ehe er im 19. Jahrhundert nahezu ausgerottet wurde. Heute streifen einzelne Tiere aus Slowenien, Kärnten oder dem Trentino wieder durch unsere Wälder.
Anders als der Wolf, der in Rudeln neue Regionen erobert, lebt der Bär als Einzelgänger. Er braucht Ruhe, großräumige Rückzugsgebiete – und zieht sich bei Störungen meist zurück. Seine Rückkehr verläuft deshalb sehr viel langsamer und auch leise.
Weniger Ärger als Wölfe

Während der Wolf in manchen Regionen Jahr für Jahr hunderte Schafe oder Ziegen reißt, steht Weidevieh beim Bären kaum auf dem Speiseplan. Lieber gräbt er Wurzeln aus, sammelt Beeren oder geht an Bienenstöcke und Obstbäume. Nutztierschäden bleiben die Ausnahme, und so gilt der Braunbär vielen Jägern, Bauern und Förstern als das „geringere Übel“.
Psychologie: Das Urbild des Wilden
Und doch: In unserer Vorstellungswelt ist der Bär tief verankert. Märchen, Mythen und Jahrtausende alte Jagdgeschichten haben ihn zu einem Archetyp gemacht. Der Wolf steht für das Rudel, für Strategie und Vernunft – der Bär dagegen für rohe Kraft und archaische Unberechenbarkeit.
Psychologisch löst er ambivalente Gefühle aus: Respekt, Faszination – aber auch Urängste. Selbst wenn die Statistik klar zeigt, dass ein Sturz im Gebirge oder ein Verkehrsunfall weit gefährlicher sind, genügt ein einziger Vorfall, um kollektive Panik zu schüren.

Wenn es doch gefährlich wird
Tödliche Bären-Angriffe sind in Europa extrem selten – und fast immer auf Missverständnisse zurückzuführen. Zwei Situationen sind besonders riskant:
Überraschung: Wird ein Bär plötzlich auf kurzer Distanz aufgestört, reagiert er mit Verteidigungsangriff.
Muttertiere: Eine Bärin schützt ihre Jungen kompromisslos.
Genau diese Szenarien führten im Trentino zu tragischen Fällen, die weit über Italien hinaus für Aufsehen sorgten.
Der Fall Andrea Papi – Caldes 2023
Am 5. April 2023 wurde der 26-jährige Jogger Andrea Papi bei Caldes (Trentino) von der Bärin JJ4 tödlich verletzt – der erste dokumentierte Todesfall durch einen Bären in Italien seit über 150 Jahren. Die Attacke löste einen Sturm der Emotionen aus. Papís Familie klagte, man habe die Bevölkerung nicht ausreichend informiert und geschützt.
Die Provinzregierung ordnete den Abschuss von JJ4 an – das Verwaltungsgericht stoppte diese Entscheidung als unverhältnismäßig. Ein jahrelanger Rechtsstreit folgte. Schließlich fand man einen Kompromiss: Die Bärin wird in den Alternativen Bärenpark Worbis in Deutschland gebracht.
Im Ort Caldes selbst kippte die Stimmung massiv: In einer Befragung lehnten 98 % der Bewohner weitere Bären im Tal ab.
Weitere Vorfälle und Konsequenzen
Sommer 2020, Caldes: Ein Mann wurde von JJ4 schwer verletzt, überlebte jedoch. Schon damals gab es Rufe nach Entnahme – sie verhallten.
Sommer 2024: Ein französischer Jogger wurde attackiert und verletzt.
Juli 2024: Die Bärin KJ1 griff einen Touristen an. Auf Anordnung der Provinz wurde sie erschossen – ein Schritt, der Proteste von Tierschutzorganisationen auslöste.
Die Behörden im italienischen Trentino reagieren seither härter: Sie erlauben pro Jahr die Entnahme mehrerer Tiere und setzen verstärkt auf Elektrozäune, Aufklärung und Müllsicherheit. Tierschutzverbände dagegen pochen auf Umsiedlungen und Sterilisation statt Abschuss.
Ein Tier, das Respekt verlangt
Für Jäger, die sich im Hochgebirge bewegen, sind Begegnungen mit Bären selten, aber prägend. Die Botschaft ist klar: Der Bär sucht nicht den Konflikt. Doch er verlangt Respekt – und Wissen um sein Verhalten. Abstand halten, keine Futterquellen offenlassen, sich bemerkbar machen: Wer diese Regeln kennt, ist in Bärengebieten sicher unterwegs.
König ohne Skandale, aber mit Wucht
Der Braunbär macht jedenfalls weniger Ärger als der Wolf, verursacht kaum Schäden und lebt meist unauffällig im Verborgenen. Doch die wenigen tödlichen Angriffe zeigen: Er ist kein Kuscheltier, sondern ein urwüchsiger König der Wälder.
Psychologisch ist er ein Spiegel unserer eigenen Ängste – ein Symbol dafür, dass es in unseren Alpen noch etwas gibt, das wir weder zähmen noch beherrschen können.
Vielleicht ist es genau dieser stille, mächtige Nachbar, der uns mehr über unser Verhältnis zur Wildnis lehrt, als jede Wolfsdebatte es vermag.








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