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Die Stille nach dem Schuss: Dietmars letzte Gams!

Dietmar beim Aufstieg in die Felsen
Dietmar beim Aufstieg in die Felsen

Es war einer jener Jagdabende, die man nie vergisst. Wir fuhren in unser Bergrevier hinauf, in diese abgeschiedene Welt, wo die Zeit langsamer vergeht. Die Jagdhütte, einfach, ohne Komfort, war für uns immer ein Ort der Ruhe. Kein Netz, kein Signal, keine Ablenkung – nur das Knistern des Ofens und das leise Ticken einer alten Uhr an der Wand.


Dietmar, mein jagdlicher Lehrmeister und langjähriger Freund, saß mir gegenüber. Ein Mann, der die Jagd nicht nur betrieb, sondern lebte. Er war Heger, Beobachter, Naturkenner – mehr als jeder andere, den ich kannte. Über Jahrzehnte hatte er sich ein Wissen angeeignet, das nicht in Büchern stand.


An diesem Abend redeten wir viel. Über die Jagd, das Wild, über die Berge, über das Leben. Über Dinge, die man nur einem Freund erzählt. Vielleicht spürte ich damals schon, wie vergänglich solche Momente sind.



Der Aufstieg in die Nacht


Der schweißtreibende Aufstieg im Dunkeln
Der schweißtreibende Aufstieg im Dunkeln

Noch im Dunkeln riss uns der schrille iPhone-Wecker aus dem Schlaf. Draußen war es sternenklar und klirrend kalt, der Atem dampfte. Schon nach wenigen Schritten spürten wir, wie der Puls in den Schläfen hämmerte. Der Weg hinauf in die Felsen ist kein Spaziergang. Jeder Schritt fordert den Körper, jede Stufe zwingt die Muskeln zu arbeiten.


Doch genau darin liegt auch ein Teil der Jagdpsychologie: diese körperliche Anstrengung schafft eine andere Wachheit. Mit jedem Schritt verschwinden die Gedanken des Alltags, das Bewusstsein schärft sich. Geräusche werden deutlicher, Gerüche intensiver, selbst das eigene Atmen nimmt man plötzlich bewusster wahr.


Nur eine schwache Lampe erhellte den Weg, so sparsam eingestellt, dass wir nicht mehr Licht machten als unbedingt nötig. Wir wollten das Wild nicht beunruhigen.


Da – am ersten Schlag, kaum zu erkennen: ein Rudel Rotwild. Im fahlen Restlicht der Sterne, unterstützt durch die Wärmebildkamera, sahen wir die Silhouetten klar vor uns. Wir blieben stehen, hockten uns unter eine Lärche und warteten. Vielleicht ist ja ein passendes Stück dabei? Für Minuten stand die Zeit still. Doch schon kurz vor dem Morgengrauen zogen die Stücke wieder in ihren Einstand zurück, wie Schatten, die im ersten Licht verglimmen.


Dietmar sah mir in die Augen und nickte nur. „Wir steigen weiter – die Gams wartet."



Das Amphitheater der Gipfel


Der Erdsitz
Der Erdsitz

Nach eineinhalb Stunden waren wir oben. Wir legten uns in den Erdsitz – eine kleine gegrabene Mulde, notdürftig mit Brettern verstärkt, mit Steinen umlegt. Kein Kunstbau, sondern etwas, das in die Landschaft passte, unauffällig, unscheinbar.


Vor uns breitete sich eine Landschaft wie eine Bühne aus: ein Halbrund aus Felsen, Gipfeln, schroffen Wänden. Die ersten Strahlen der Sonne tauchten alles in leuchtendes Rot. Manchmal sind solche Augenblicke fast erdrückend in ihrer Schönheit – Momente, in denen man das Gewehr fast vergisst, weil das Staunen stärker ist als die Jagdlust.


Wir zogen frische Wäsche an – eine Kleinigkeit, die jeder Bergjäger kennt. Wer verschwitzt im Gebirge wartet, friert unweigerlich. Solche Details sind es, die Dietmar immer im Blick hatte. Dann begann das Warten. Stundenlanges, regungsloses Ausharren, das viele als Qual empfinden. Doch in Wahrheit ist es ein psychologisches Training.


Denn das Warten schärft. Man wird empfänglicher, hört Geräusche, die man sonst überhört, spürt den Wind, sieht Bewegungen am Hang, die anderen entgehen. Dietmar war ein Meister darin. „Wenn du wartest, jagen deine Sinne für dich“, sagte er.



Die Begegnung mit der Gams


Gamsgeiß
Gamsgeiß

Dann endlich Bewegung. Zunächst kaum auszumachen, nur ein Schatten hinter einem Stein. Eine Gams. Sie lag gebettet, stand dann langsam auf, zog gemächlich weiter.


Dietmar nahm das Fernglas hoch, sprach leise: „Eine Geiß. Alt. Stark. Nicht führend.“ Ein ideales Stück, eines, das zum Abschussplan passte. Aber die Distanz wuchs. 150 Meter. 250. 350. Schließlich fast 470.


Blaser R8 im Kaliber .300 WSM
Blaser R8 im Kaliber .300 WSM

Hier zeigte sich, was Jagd im Kern ist: nicht Technik, sondern Verantwortung. Dietmar war ein ausgezeichneter Schütze, doch er zweifelte. Seine Sauer 404 im Kaliber .308 Winchester, so meinte er, habe auf diese Distanz zu wenig Energie.


Ein Jäger wie Dietmar schießt nicht, wenn er sich nicht sicher ist.

Ich bot ihm meine Blaser R8 im Kaliber .300 WSM an. Mit dem großen Zeiss V8-Zielfernrohr. Dietmar ermittelte mit seinem Zeiss Victory RF präzise die Distanz: 468 Meter. Das Jagdgewehr gab Dietmar absolute Stabilität. Keine Brise, die störte. Keine Ablenkung.



Psychologie des Schusses


Jetzt begann die eigentliche Jagd. Nicht im Außen, sondern im Inneren. Dietmar legte sich hin, nahm das Ziel ins Visier. Der psychologische Wechsel war greifbar: von der Anspannung in die Ruhe. Sein Atem verlangsamte sich, der Puls wurde leise. Alles um ihn herum verblasste.


Psychologen nennen diesen Zustand Flow. Jäger nennen ihn schlicht Ruhe. Es ist der Moment, in dem Körper und Geist eins werden, in dem das Absehen nicht mehr springt, sondern am Wildkörper klebt.


Ich beobachtete Dietmar. Seine Augen waren fest, sein Gesicht regungslos. In diesem Augenblick war Dietmar ganz bei sich, ganz im Jagdgeschehen.


Dann der Schuss. Ein Donner hallte durch das alpine Amphitheater. Die Geiß sprang, Steine splitterten. Sekunden der Unsicherheit. „Gefehlt?“, fragte er leise. Doch plötzlich überschlug sich das Stück und blieb liegen. Weidmannsheil.



Freude, Dankbarkeit, Abschied


Wir umarmten uns, lachten, klopften uns auf die Schultern. Nicht wie Männer, sondern wie Buben, die gerade ein Abenteuer bestanden haben.


Die Gams lag vor uns, eine alte Geiß, wie angesprochen, nicht führend. Ein Stück, das passte. Und sie war zu uns gekommen, hatte uns die Mühe der Bergung fast erspart.


Beim Abstieg ins Tal zog Dietmar das Wildbret – aber viel schwerer wog die Erinnerung. Ich wusste damals nicht, dass dies eine unserer letzten gemeinsamen Jagden sein würde. Heute weiß ich: Sie war mehr als eine Jagd. Sie war ein Vermächtnis.


Dietmar bei der Bergung seiner letzte Gamsgeiß
Dietmar bei der Bergung seiner letzte Gamsgeiß

Dietmar lebt nicht mehr. Doch was er mir hinterlassen hat, begleitet mich bei jeder Pirsch: seine Ruhe, seine Geduld, seine unerschütterliche Haltung. Dietmar jagte nie, um zu besitzen, sondern immer, um zu verstehen.


Jagd, so lehrte er mich, ist Warten, Lauschen, Beobachten. Sie ist die Kunst, mit der eigenen Ungeduld zu ringen, Verantwortung zu übernehmen, in entscheidenden Sekunden in sich selbst Ruhe zu finden.


Wenn ich heute allein im Gebirge sitze, spüre ich ihn. In den Felsen, im Wind, in der Stille nach dem Schuss. Und jedes Mal, wenn ich Weidmannsheil sage, gilt es auch ihm.


Ein letztes Weidmannsheil, mein Freund

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