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Forschung, Klima und Krankheit: Neues Wissen über die Gams!

Wir haben die neuesten Forschungsergebnisse rund ums Thema Gamswild zusammengetragen.
Wir haben die neuesten Forschungsergebnisse rund ums Thema Gamswild zusammengetragen.

Kaum ein Wildtier steht so sehr für das alpine Leben wie die Gams . Und doch wissen wir, wie neue Studien zeigen, längst nicht alles über die Königin der Steilhänge. In den letzten Jahren hat sich in der Wissenschaft rund ums Gamswild einiges getan: von genetischer Forschung über Klimawandel bis hin zu neu entdeckten Viren – und gerade in Österreich liefern Forscher und Jäger wertvolle Einblicke in das, was sich in unseren Hochlagen verändert.



Das Erbgut der Alpengams


2025 gelang Forschern erstmals ein Meilenstein: Das komplette Referenz-Genom der Alpengams (Rupicapra rupicapra) wurde entschlüsselt. Die Plattform Biodiversity Genomics Europe spricht von einer „genetischen Landkarte“, die künftig helfen soll, Populationen besser zu verstehen – und zu schützen (Biodiversity Genomics Europe, 2025).


Alpengams
Alpengams

„Wir können jetzt sehen, wie eng einzelne Bestände miteinander verwandt sind und wo genetische Engpässe drohen“, erklärt Wildbiologe Luca Corlatti, der an einer großen Übersichtsarbeit zur Gamsforschung beteiligt war (Wildlife Biology, 2022).


Besonders für Österreich, wo Gebirgsketten natürliche Barrieren bilden, ist das wichtig: Gamsbestände in Kärnten, Tirol oder dem Salzkammergut unterscheiden sich genetisch deutlich. Das hat Konsequenzen für Wiederansiedlungen, Bejagung und langfristige Erhaltung.


Rückzug in kühlere Höhen


Der Klimawandel ist längst kein theoretisches Thema mehr. Er verändert die Lebensweise der Gams sichtbar – und messbar. In einer Langzeitstudie bei über 5.600 Jährlingen in der Schweiz zeigte sich: Die Tiere sind in den letzten Jahrzehnten im Schnitt rund drei Kilogramm leichter geworden. Der entscheidende Zeitraum liegt zwischen Mai und Juli, wenn die Kitze wachsen und die Äsung blüht (Royal Society Open Science, 2024).


Wird dieser Zeitraum zu warm, verändert sich die Vegetation, und das Futter verliert an Nährwert. Das bestätigt auch die internationale Wildtierorganisation CIC: Die Gämse ziehen sich heute „zunehmend in kühlere, windoffene Höhen“ zurück, um der Hitze zu entkommen (CIC Wildlife, 2024).


In Österreich sind diese Veränderungen bereits sichtbar. In den Nockbergen oder den Hohen Tauern beobachten Berufsjäger, dass Gamsgruppen heute 200 bis 300 Höhenmeter höher stehen als noch vor zwanzig Jahren. Gleichzeitig dringen Rehe und Rotwild in höhere Lagen vor – und verdrängen die Gams aus angestammten Einständen.


Aufgrund des Klimawandels steht das Gamswild heute höher als noch vor zwanzig Jahren.
Aufgrund des Klimawandels steht das Gamswild heute höher als noch vor zwanzig Jahren.

An der Vetmeduni Wien wird dieses Phänomen in einem interdisziplinären Forschungsprojekt namens „GamsKlimaMensch“ untersucht: Satellitendaten, GPS-Halsbänder und Vegetationsanalysen sollen zeigen, wie sich Verhalten und Raumnutzung unter Klimadruck verändern.



Krankheitserreger: alte Feinde, neue Gefahren


Wer an Krankheiten bei der Gams denkt, denkt zuerst an die Räude – ein uralter Gegner, der bis heute für ganze Bestandseinbrüche sorgt. Historische Quellen belegen, dass die ersten großen Ausbrüche in Österreich bereits im 19. Jahrhundert stattfanden: 1870 im Maltatal (Kärnten) wurde eine der ersten seuchenhaften Wellen dokumentiert (Unterköfler et al., 2023). Noch heute flammt die Krankheit immer wieder auf – zuletzt in den Gailtaler Alpen und am Tiroler Alpenhauptkamm.


Jahrlingsgams
Jahrlingsgams

Neu ist dagegen ein Erreger, der erst kürzlich beschrieben wurde: das „Alpine Chamois Encephalitis Virus“ – ein bislang unbekannter Zecken-Flavivirus, entdeckt von Forschern der Vetmeduni Wien in Zusammenarbeit mit italienischen Kollegen (Viruses, 2025; PubMed ID 39861911). Das Virus verursacht neurologische Ausfälle und Entzündungen im Gehirn, ähnlich wie Louping-Ill. Ob es auf andere Tierarten übertragbar ist, wird derzeit untersucht.


Dazu kommen Parasiten wie Sarcocystis spp., die sich in der Muskulatur festsetzen. Eine Studie aus Deutschland fand bei 78 % der untersuchten Gämsen entsprechende Spuren (Parasitologia, 2024). Meist sind die Infektionen harmlos, zeigen aber, wie eng die Gams in den Kreislauf ihres Lebensraums eingebunden ist.



Ernährung, Stress und Verhalten


Wie stark sich äußere Faktoren auf die Gams auswirken, lässt sich heute sogar messen – über Stresshormone in der Losung. Eine Studie der Universität Trient zeigt: Je nährstoffreicher die Nahrung, desto niedriger der Cortisolwert (PubMed, 2023). Gute Äsung beruhigt also nicht nur den Magen, sondern auch den Kopf.


Parallel belegt eine Arbeit im Fachjournal Movement Ecology (2024), dass Gams ihr Verhalten bei wechselndem Wetter gezielt anpassen: Sie suchen Schatten, wenn es heiß ist, und wechseln in windoffene Lagen, wenn Insekten oder Hitze drücken.


Auch die Mikrobiologie bringt Neues: Forscher der Universität Innsbruck untersuchten die Darmflora von Gämsen und stellten fest, dass sie sich saisonal verändert – je nachdem, ob frisches Gras, Kräuter oder Winteräsung auf dem Speiseplan stehen (Frontiers in Microbiology, 2023). Dieses feine Gleichgewicht ist zentral für Gesundheit und Kondition.


In steilen Bergflanken fühlt sich die Gams zu Hause.
In steilen Bergflanken fühlt sich die Gams zu Hause.

Was heißt das für die Jagd in Österreich?


Die Forschung zeigt, wie empfindlich das ökologische System Gams geworden ist. Und sie macht klar, dass moderne Jagd auf Wissen bauen muss. Wer heute Gams bejagt, sollte nicht nur Trophäen oder Abschusspläne im Kopf haben, sondern Körpergewicht, Altersstruktur, Parasitenbefall und Standortentwicklung mitdenken.


Auch das Genetik-Know-how kann in die Revierpraxis einfließen: Genetische Proben aus erlegten Tieren liefern wichtige Daten über lokale Vielfalt. Klimadaten helfen, die Jagdzeit an neue Vegetationsmuster anzupassen. Und Gesundheitsmonitoring – etwa über die Vetmeduni Wien – kann verhindern, dass Krankheiten unentdeckt bleiben.


Damit bleibt die Gams ein Sinnbild für Wildnis, Stärke und Anpassung. Doch ihre Welt verändert sich – leiser, als man denkt, aber stetig. Neue Forschung gibt uns Werkzeuge in die Hand, um diese Veränderungen zu verstehen: vom Erbgut über GPS-Daten bis zur Virusdiagnose. Wenn Jagd Verantwortung bedeutet, dann heißt sie bei der Gams: Wissen anwenden. Denn nur wer versteht, wie sie lebt, kann bewahren, dass sie bleibt.

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