Test: In der Dämmerung mit dem Zeiss Victory HT 10x54
- Hans ARC
- vor 16 Stunden
- 3 Min. Lesezeit

Es gibt Ferngläser, die begleiten einen jahrelang durchs Revier – und es gibt Ferngläser, die schon beim ersten Anblick den Anspruch stellen, etwas Besonderes zu sein. So ging es mir, als ich das Zeiss Victory HT 10×54 in die Hand nahm. Schon beim ersten Blick durchs Glas war klar: Das ist kein Allrounder für den schnellen Reviergang, sondern ein Spezialist für die Jagd in Grenzbereichen – dort, wo das Licht knapp wird und Entscheidungen schwerfallen.
Der erste Eindruck – groß, schwer, aber beeindruckend
Mit gut einem Kilo Gewicht merkt man das Glas am Riemen sofort. Für die Pirsch ist es nichts Leichtes, auf langen Strecken wird es spürbar. Aber sobald man es vors Auge nimmt, vergisst man das Gewicht.
Das Bild wirkt hell, klar und unglaublich kontrastreich. Besonders in den Stunden der Dämmerung, wenn andere Gläser längst aufgegeben haben, hält das HT noch erstaunlich viel Struktur fest.

Rotwildbrunft: Mehr Zeit beim Ansprechen
Besonders eindrücklich war mein Einsatz in der Rotwildbrunft im vergangenen Herbst. Ich saß am Abend auf einem Wechsel, als der erste Hirsch zu röhren begann. Mit dem Victory HT konnte ich die Geweihauslage auf Distanz noch sauber ansprechen, während durch mein altes 8×42 bereits alles im Dunkel verschwamm. Die Kombination aus 10-facher Vergrößerungund großer 54-mm-Objektivlinse verlängerte die „jagdliche Uhr“ spürbar. Wo sonst Unsicherheit herrscht, hatte ich jetzt die nötige Klarheit.
Auf Schwarzwild in der Nacht
Auch bei der Schwarzwildjagd am abgeernteten Maisfeld zeigte sich die Stärke des Glases. Schwarze Körper auf dunklem Grund sind immer eine Herausforderung. Doch die hohe Lichttransmission von rund 95 % macht den Unterschied: Die Konturen blieben länger erkennbar, das Ansprechen auf Stückzahl und Altersklasse war möglich, als ich mit anderen Gläsern längst abgebrochen hätte.
Bildqualität – wie durch ein sauberes Fenster

Die Farbdarstellung ist natürlich, kein Überstrahlen, kein verfälschtes Grün oder Rot. Selbst in den letzten Minuten der Dämmerung sieht man noch feine Unterschiede im Deckenhaar oder an den Spiegeln. Seitliche Farbsäume sind kaum wahrnehmbar. Besonders beim Gams-Anblick über die Gräben hinweg war ich erstaunt, wie präzise die Details noch hervortreten – die Hornspitzen waren messerscharf.
Handhabung und Ergonomie
Das Victory HT 10x54 ist kein „filigranes“ Glas – eher ein robuster Begleiter. Das Magnesiumgehäuse wirkt unverwüstlich, die große Fokussierwalze ist auch mit Handschuhen butterweich und exakt zu bedienen. Besonders gefallen hat mir die „lange Übersetzung“ des Rades: Man schärft feinfühlig nach, ohne ständig nachkorrigieren zu müssen. Für Brillenträger sind die 16 mm Augenabstand okay, auch wenn es knapp wird. Die Augenmuscheln rasten sauber, verrutschen nicht und fühlen sich stabil an.

Im Revieralltag
Natürlich – das Gewicht bleibt. Wer stundenlang pirscht oder bergauf unterwegs ist, wird das Glas im Rucksack oder am Harness tragen wollen. Für den schnellen Kontrollgang durchs Revier ist es schlicht zu viel. Aber genau das ist nicht seine Aufgabe: Das HT 10×54 ist gebaut für die entscheidenden Minuten des Tages, wenn andere Gläser an ihre Grenzen stoßen.
Witterung und Haltbarkeit
Regen, Nebel, Temperaturwechsel – bisher konnte ich dem Glas keine Schwäche entlocken. Die LotuTec-Beschichtungsorgt dafür, dass Tropfen abperlen und die Sicht frei bleibt. Selbst beim Übergang von der warmen Hütte hinaus in die eiskalte Nacht gab es kein Beschlagen im Inneren.
Mein Fazit nach fast zwei Jahren im Einsatz
Das Zeiss Victory HT 10×54 ist kein Allround-Fernglas für jeden Tag – es ist ein Dämmerungsspezialist. Auf dem Ansitz bei Rotwild oder Schwarzwild spielt es seine Stärken aus und verschafft mir wertvolle Minuten mehr Klarheit.
Ja, es ist groß und schwer. Ja, 10× Vergrößerung verlangt eine ruhige Hand oder ein Stativ am Ansitz. Aber wer die entscheidende Sicherheit beim Ansprechen sucht, wird dieses Glas schätzen.
Für mich persönlich hat es sich schon beim ersten Einsatz bezahlt gemacht: In jener Brunftnacht, als der Hirsch im letzten Licht aus dem Wald trat, hätte ich mit einem normalen Glas gezögert. Mit dem Victory HT konnte ich ihn klar erkennen, sicher ansprechen – und eine weidgerechte Entscheidung treffen.
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